Frühling
Was rauschet, was rieselt, was rinnet so schnell?
Was blitzt in der Sonne? Was schimmert so hell?
Und als ich so fragte, da murmelt der Bach:
„Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist wach!“
Was knospet, was keimet, was duftet so lind?
Was grünet so fröhlich? Was flüstert im Wind?
Und als ich so fragte, da rauscht es im Hain:
„Der Frühling, der Frühling, der Frühling zieht ein!“
Was klingelt, was klaget, was flötet so klar?
Was jauchzet, was jubelt so wunderbar?
Und als ich so fragte, die Nachtigall schlug:
„Der Frühling, der Frühling!“ – da wußt‘ ich genug!
Heinrich Seidel (1842-1906)
Geboren am 25.6.1842 in Perlin (Mecklenburg); gestorben am 7.11.1906 in Großlichterfelde.
Seidel war der Sohn eines Pfarrers. Er studierte von 1860-1862 am Polytechnikum in Hannover, ab 1866 an der Gewerbeakademie in Berlin. Ab 1868 war er Ingenieur in einer Maschinenfabrik in Berlin. Seidel konstruierte als Ingenieur die Bedachung des Anhalter Bahnhofs. Seit 1880 lebte er als freier Schriftsteller.